Mittwoch, 30. Juni 2010

Mittelalterliche musikalische Fragmente als Einbandmakulatur

Ausstellung zu mittelalterlicher Liturgie als Einbandmakulatur

Als im Herzogtum Württemberg nach 1534 die Reformation eingeführt und die Klöster aufgehoben wurden, waren auch die alten liturgischen Bücher für den Gottesdienst, für Gebet und Gesang nutzlos geworden. Der wertvolle Beschreibstoff, das beschriftete Pergament, konnte wiederverwendet werden. Zahlreiche liturgische Bücher wurden in ihre einzelnen Blätter zerlegt, makuliert und beschnitten, um sie als günstiges Einbandmaterial wieder zu gebrauchen.

Die Ausstellung "Musikalische Fragmente" nimmt die verschiedenen Entwicklungsstufen dieser Fragmente von der liturgische Handschrift, der Einbandmakulatur bis zum Forschungs- und Restaurierungsobjekt in den Blick und entführt in die Welt klösterlicher Musik im Mittelalter

Mit dem Verlust zahlreicher Choralhandschriften gingen bedeutende Zeugnisse klösterlicher Musik im Mittelalter unwiederbringlich verloren. Die als Einbandmakulatur erhaltenen musikalischen Fragmente geben Einblicke in diese Welt des Gregorianischen Chorals und zeigen die Entwicklung der Notation vom 10. bis zum 16. Jahrhundert in ihren reichen Facetten auf. Neben frühesten Zeugnissen aus dem 10. und 11. Jahrhundert führen Spuren zu längst verloren geglaubten musikalischen Zeugnissen einst bedeutender religiöser Zentren wie etwa den Klöstern Hirsau und Maulbronn.

Alte Gesänge in neuem Klang
Anhand neu eingespielter Tonaufnahmen zum Klingen gebracht, eröffnen die musikalischen Fragmente nicht nur Einblicke in eine besondere religiöse Welt, sondern machen sie auch auditiv erfahrbar. Darunter präsentiert sich ein bislang verschollenes Zeugnis mittelalterlicher Mehrstimmigkeit nach über 500 Jahren in neuem Klang.

... als Einbandmakulatur
Schon vor der Reformation kamen Choralhandschriften durch liturgische Neuausrichtung und formale Vereinheitlichung außer Gebrauch. Die Zerstörung und Wiederverwendung als Einbandmakulaturen steht im Blickpunkt der Präsentation. So dokumentieren etwa zahlreiche französische Fragmente in württembergischen Verwaltungsrechnungen eine weite Streuung in unterschiedlichste Richtungen, die die Beantwortung der drängenden Frage nach der Herkunft dieser musikalischen Fragmente erschwert.

... als Archivgut
Unter den Archivbeständen besitzen die als Einbandmakulatur erhaltenen Fragmente eine besondere und bisher nur ansatzweise erfasste Bedeutung für die Musikgeschichte und Liturgieforschung. Die fachgerechte Verwahrung, Erhaltung und wissenschaftliche Erschließung dieser Objekte stellt Archivare und Restauratoren vor besondere Herausforderungen.

...als Restaurierungsobjekt
Die restauratorische Perspektive lenkt schließlich den Blick auf das Objekt selbst und führt ein in die mittelalterliche Handschriftenherstellung. Vielfältige Spuren am Pergament verweisen auf seine wechselhafte Geschichte und eröffnen Rückschlüsse auf Herstellung und Verwendungszweck. So unterlagen die Fragmente bei der zweiten Nutzung als Einbandmakulatur einer ungleich höheren Beanspruchung, wie diese an mechanische Abschabungen ablesbar ist. Wassereintrag schädigte die farbigen Verzierungen und Beschriftungen, unsachgemäße Lagerung setzte das Pergament Nagetieren aus. Einige dieser Schäden können von Restauratoren behoben oder zumindest reduziert werden. Im Vordergrund steht dabei vor allem die dauerhafte Sicherung dieser großartigen Zeugnisse mittelalterlicher Musik.

Info:
Musikalische Fragmente. Ausstellung zu mittelalterlicher Liturgie als Einbandmakulatur
Ausstellung in Zusammenarbeit mit der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Stuttgart, und der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Studiengang Konservierung und Restaurierung von Graphik, Archiv- und Bibliotheksgut, Fellbach.
Konzeption und Bearbeitung: Annekathrin Miegel, Peter Rückert, Andreas Traub, Andrea Pataki-Hundt
Leihgaben und Unterstützung: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart und Stadtarchiv Schwäbisch Hall

Ausstellungszeitraum: vom 16. Juni bis 27. August 2010

Ort:
Landesarchiv Baden-Württemberg
Hauptstaatsarchiv Stuttgart
Konrad-Adenauer-Straße 4
70173 Stuttgart
Telefon: 0711/212-4335
Telefax: 0711/212-4360
hstastuttgart@la-bw.de
www.landesarchiv-bw.de

Öffnungszeiten
Montag 9.15-17.00 Uhr
Dienstag und Mittwoch 8.30-17.00 Uhr
Donnerstag 8.30-19.00 Uhr
Freitag 8.30-16.00 Uhr
Eintritt frei

Link:
Virtueller Rundgang durch die Ausstellung

Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Ausstellungshinweis.

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